Spricht man vom deutschen Faschismus dann hat man gemeinhin als Orte des Geschehens Berlin, Nürnberg und vielleicht Stuttgart im Sinn. Nur in Ausnahmefällen denkt man auch an den Heimatort. „Bei uns doch nicht!“ – die Verdrängung funktioniert noch zu oft. Aber die Spur des Faschismus führt in die letzten Winkel Deutschlands. Überall begegnen wir der Ideologie, der Brutalität und Grausamkeit des Nationalsozialismus, überall finden wir Kriegsbereite und Kriegsteilnehmer. Aber überall finden wir auch Verfolgte des Systems. Wir begegnen den vielen Mitmachern aber auch den wenigen aufrechten Menschen, denen die Verteidigung der Menschenrechte wichtiger war als der blinde Gehorsam gegenüber einem verbrecherischen Regime.

Ein heißes Eisen also, das die Gruppe Jugendlicher mit dem Thema: „Backnang zur Zeit des Nationalsozialismus“ aufgegriffen hat. Denn auch fast 65 Jahren nach Kriegsende gibt es noch keine zusammenfassende Darstellung der Zeit des Nationalsozialismus in Backnang, ihrer unmittelbaren Vorläufergeschichte sowie einer Studie über die unmittelbare Nachkriegszeit. Es ist das Verdienst der Autoren, diesen Teil der Stadtgeschichte im Zusammenhang bearbeitet zu haben. Dabei stützte sich das dreizehnköpfige Team auf bereits veröffentlichte Studien, betrieb Quellenarbeit im Stadtarchiv Backnang sowie im Archiv der Evangelischen Landeskirche in Stuttgart, befragte Experten und interviewte Zeitzeugen. Für alle Teilnehmer war es die erste Einübung in wissenschaftliches Arbeiten. Dass da manches unvollständig und holprig bleibt ist dem Team nachzusehen.

Umso erstaunlicher ist aber das differenzierte Bild, das die Autoren von der Zeit der NS-Diktatur in Backnang zeichnen. Zunächst wird untersucht, wie aus einer „roten“ eine „braune“ Stadt werden konnte. Anhand mehrerer Beispiele wird dargelegt, wer die Fäden in der NS-Zeit in der Hand hielt, wer die ideologischen Stützen waren und wer in der Stadt von Faschismus und Krieg profitierte. Der Alltag, besonders der von Jugendlichen wird thematisiert und die Rolle der Erziehung hinterfragt. Dabei wird auch die Funktionsweise einer der wenigen NS-åEliteschulen im Reich, der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt in Backnang, untersucht. Breiter Raum wird Persönlichkeiten gewidmet, die in einer Zeit der Diktatur die Verteidigung der Menschenrechte hoch hielten und im Endeffekt auch dazu beitrugen, dass die Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges nicht zerstört wurde. Abhandlungen über die politischen Veränderungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit und der langsamen Hinwendung zur Demokratie schließen sich an. Die Kriegsfolgen Flucht und Vertreibung werden anhand bewegender Einzelschicksale untersucht und die Integrationsleistung der Stadtbevölkerung herausgestellt.

Die Arbeit ist ein gutes Starterwerkzeug für stadtgeschichtlich Interessierte, ein Werk mit manch neuer Sicht sogar. Es ist zu wünschen, dass die Ausführungen die Diskussion über diese dunkle Zeit Backnangs beleben.

Bernd Hecktor