Dieses Kapitel geht auf die wirtschaftlichen Veränderungen nach dem Krieg ein, die sich durch die Besetzung der Alliierten und den Zuzug der Flüchtlinge ergab. Im ersten Abschnitt werden Hintergrund und wirtschaftliche Beschlüsse beleuchtet. Da Backnang von der Militärregierung der Vereinigten Staaten von Amerika (USA), wird in erster Linie die allgemeine Lage in der US-amerikanischen Zone und der späteren Bi-Zone betrachtet. Der zweite Abschnitt informiert über örtliche Gegebenheiten und den Wiederaufbau in Backnang. Der letzte Abschnitt handelt von der deutschen Währungsreform 1948. Der Begriff „Amerika“ und abgeleitete Begriffe, sind im Folgenden auf die USA bezogen.

Beschlüsse zur Demontage in Kriegskonferenzen

Der historischen Begriff „Demontage“ wird im Bezug auf Deutschland für den Abbau von Industrieanlagen verwendet. Nachdem Zweiten Weltkrieg kam es in Deutschland zu zahlreichen Demontagen durch die Siegermächte, für die es zwei Gründe. Die Siegermächte, insbesondere die Sowjetunion, forderten eine Wiedergutmachung für erlittene Schäden. Außerdem sollte Deutschland durch die Zerschlagung seiner industriellen Basis geschwächt werden um so einen erneuten Aggressionskrieg unmöglich zu machen. In den Westzonen wurde aufgrund der Truman-Doktrin die Politik der Demontagen allerdings bald beendet.

Erste Schritte der USA und Zusammenschluss zur Bi-Zone

Hintergrund

Als erster US-amerikanischer Entscheidungsträger mahnte General Lucius D. Clay, Leiter des Office of Military Government, 1945/1946 eine Veränderung der Besatzungsrichtlinie JCS 1067 an. Nach dieser Richtlinie sollte das wirtschaftliche Niveau Deutschlands auf 75 Prozent des Jahres 1936 gesenkt werden. Die verbleibenden Erwirtschaftungen sollten den Deutschen zur Selbsterhaltung genügen.

Clay erkannte schnell aus der Erfahrung vor Ort, dass dies nicht ausreichen würde, um wenigstens die Lebensmittelimporte für die deutsche Bevölkerung zu bezahlen. Das amerikanische State Department (Außenministerium) weigerte sich zwar die Richtlinie zu revidieren, erweiterte aber die Kompetenzen Clays. Im Mai 1946 stoppte General Clay schließlich die Reparations-Demontagen in der amerikanischen Zone.

Die Wirtschaft in der US-Zone verfügte zwar, aufgrund der Einwanderung von über 8 Millionen Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten und der Entlassung von Kriegsgefangenen, über viele Arbeitskräfte, doch es fehlte an Rohstoffen.

Während Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg nur 10 Prozent seiner Rohstoffe exportierte, musste es während der Demontage 1945/1946 etwa 65 Prozent der Rohstoffe abgeben. Für den Holzexport wurden in den Mittelgebirgen ganze Wälder gerodet. Vor allem mussten Deutschland Kohle exportieren. Die Erlöse lagen unter der Hälfte des Weltmarktpreises.

Erschwerend kam noch hinzu, dass die Zonen fast schon eine Art “Eigenstaatlichkeit” entwickelt hatten, anstatt sich auf ihre Rolle als Verwaltungsbezirke zu beschränken. Wollte man von einer Zone in die andere gelangen, brauchte man Passierscheine und musste für den Warenaustausch Verhandlungen führen, die an Handelsgespräche zwischen souveränen Staaten erinnerten.

Die deutsche Bevölkerung begann sich schnell an diese Zustände zu gewöhnen. Lebensmittel wurden zumeist auf dem Schwarzmarkt gehandelt, die Inflation stieg rasant und die Zigarettenwährung trat an die Stelle des Geldes. 1946 sank die Industrieproduktion auf 36 Prozent des Standes von 1936. Zusätzlich kam es nach einer Schlechtwetterperiode im Sommer 1946 auch noch zu einer Missernte.

Vor allem in den Ballungsgebieten hungerten die Menschen im Winter 1946/1947. Zum ersten Mal nach Kriegsende, erfuhr das deutsche Volk anhand freiwilliger Spenden, die Solidarität des Auslandes.

Im Kontrollrat der Alliierten verschlechterte sich das Klima wegen der kompromisslosen Sowjetisierungspolitik der Sowjetunion (UdSSR) in Osteuropa und der Sowjetische Besatzungszone (SBZ) zusehends. Dennoch versuchte der amerikanische Außenminister Byrnes den UdSSR entgegenzukommen. Auf der Pariser Außenministerkonferenz im April 1946 unterbreitete er den Vorschlag einer vollständigen Entmilitarisierung Deutschlands, doch der sowjetische Außenminister Molotow ging darauf nicht ein.

Während US-Außenpolitiker über einen Kurswechsel nachdachte, drängte Generals Clays Militärregierung auf die Schaffung einheitlicher Wirtschaftstrukturen und einer Zentralverwaltung in Westdeutschland. Am 5. September erhielten General Clay und sein britischer Kollege Robertson von ihren Regierungen die Genehmigung zum Zusammenschluss ihrer Zonen zur Bizone. Dies wurde zum 1. Januar 1947 eingerichtet mit Frankfurt als Sitz der Bizonen-Verwaltung. Es wurden fünf Verwaltungsämter geschaffen: Wirtschaft, Finanzen, Ernährung und Landwirtschaft, Verkehrswesen und Post.

Die Kehrtwende in der amerikanische Deutschlandpolitik

Die Kehrtwende in der amerikanischen Deutschlandpolitik vollzog Außenminister James F. Byrnes am 6. September 1946 in Stuttgart. Byrnes forderte die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands und deutete eine neue Linie der amerikanischen Politik an, die auf Wiedererlangung der deutschen Souveränität und Bewahrung der territorialen Integrität Deutschland gerichtet war. Die Byrnes-Rede als Wendepunkt der amerikanischen Deutschlandpolitik stand bereits in Zusammenhang mit der Containment Policy (= Eindämmungspolitik) des Präsidenten Harry S. Truman.

Der außenpolitisch unerfahrene Truman hatte sich nach dem Tod Roosevelts zunächst an dessen Politik der engen Anlehnung an die Sowjetunion orientiert. Er tolerierte die Bildung eines Sicherheitsgürtels in Osteuropa, doch als die UdSSR Friedensverträge mit Ungarn, Bulgarien und Rumänien abschloss, wurden die USA nicht informiert. Man geht davon aus, dass Stalin wohl mittelfristig mit der Rückkehr der Vereinigten Staaten in die Isolation rechnete, wie nach dem Ersten Weltkrieg. Als sich die Sowjetunion dann aber im griechischen Bürgerkrieg engagierte und gegen die Türkei Gebietsforderungen erhob, reagierten die USA mit der Truman-Doktrin. Sie erklärten allen, in ihrer Freiheit durch den Kommunismus bedrohten Völkern, die gegen den Versuch der Unterdrückung Widerstand leisten, Hilfe zu gewähren.

Mit der Truman-Doktrin machten die USA deutlich, dass sie bereit waren, in der westlichen Welt die Führungsrolle zu übernehmen. Mit dem Marshall-Plan leiteten die USA dann die entscheidende Maßnahme zur Stabilisierung Westeuropas ein. Der Marshall-Plan bedeutete nicht nur Wirtschaftshilfe, er sollte die Teilnehmerstaaten auch gegen den Kommunismus immunisieren.

Der Marshall-Plan

Im Rahmen der Truman-Doktrin im Jahre 1947, die allen Ländern zur Bewahrung ihrer Unabhängigkeit militärische und wirtschaftliche Hilfe zusagte, schlug US-Außenminister George C. Marshall (1880-1959) am 5. Juni 1947 in einer Rede amerikanische Wirtschaftshilfe für Europa vor. Wirtschaftliche Gesundheit sei die Grundlage politischer Stabilität, des Friedens und freier demokratischer Politik. Voraussetzung sei, dass die Europäer gemeinsam Vorschläge zur Überwindung der Krise erarbeiteten.

Das Programm beinhaltete amerikanische Lieferungen von Rohstoffen und Waren und die Bereitstellung von Kapital. Am 2. April 1948 billigte der Kongress nach dreimonatiger Debatte die „European Recovery Program“ (ERP) genannte einmalige Wirtschaftshilfe. In der Zeit von 1948 bis 1952 erhielten 16 westeuropäische Länder und die Türkei Kredite im Gesamtwert von 13,3 Milliarden Dollar. Die westdeutsche Bundesrepublik nahm insgesamt 1,56 Milliarden Dollar in Anspruch. Die daraus entstandenen Rückzahlungsverpflichtungen wurden bis 1966 von der Bundesrepublik getilgt.

Örtliche Problematik und Gegebenheiten in Backnang

Der Landkreis Backnang war zur damaligen Zeit her ländlich strukturiert. Die Haupterwerbsquelle für die Bevölkerung (65.000 Menschen) im Kreis Backnang waren die Land- und Forstwirtschaft sowie zahlreiche Gerbereien und lederverarbeitende Betriebe. In der weitgehend industrialisierten Stadt Backnang selber, fand sich neben den sechs größeren Gerbereien zusätzlich ein Werkzeugmaschinen bzw. Fahrzeugbauunternehmen und eine Spinnerei.

Unter Aufsicht der USA konnten die großen Backnanger Lederfirmen und die Maschinenbaufirma Kaelble ihren Betrieb wieder aufnehmen. Ende 1946 kam der Elektrokonzern AEG hinzu. Mit der Sparte Nachrichtentechnik gründete dieser einen Wirtschaftszweig, der noch heute wichtig ist.

Der allmähliche Aufschwung in der Wirtschaft war deshalb besonders wichtig, weil die großen Firmen nicht nur für die einheimische Bevölkerung Arbeitsplätze schufen sondern auch für die in Scharen eintreffenden Flüchtlinge aus dem Osten. Die Einwohnerzahl der Stadt Backnang wuchs zwischen Ausbruch des Krieges und dem Jahr 1950, von 11.601 auf 18.000 Menschen an.

Wiederaufbau der Wirtschaft

Lebensmittel

Als erstes musste die amerikanische Militärregierung das Problem der sehr angespannten Ernährungslage bewältigen. Dies bedeutete für die Bevölkerung, dass die Zwangswirtschaft fortgeführt werden musste, die schon im Zweiten Weltkrieg praktiziert wurde.

Wegen fehlender Lebensmittel, kam es dann im Verlauf des Jahres 1946 zu radikalen Kürzungen der Rationen, weshalb die Menschen in Backnang hungern mussten. Aufgrund einer am 1. Mai ausgesprochene Anordnung, wurden alle Lebensmittel im Kreis beschlagnahmt, deren Ausfuhr wurde verboten. Milch, Getreide und Eier waren abzugeben, Schwarzmahlen oder –schlachten stand unter harter Strafe. Überschüsse an Frühkartoffeln wurden im Backnanger Wüwa-Lagerhaus eingelagert, genau wie die den Eigenbedarf übersteigende Raps- und Mohnernte.

Die Bürgermeister unterstützten die Arbeit der Bauern mit allen erdenklichen Mitteln. Somit wurden die in der Industrie nicht benötigten Arbeiter, Traktoren, Zugtiere, Getreidemähbinder und andere Geräte an die Bauern vermittelt.

Wegen mangelnder Arbeitskraft für die Heuernte, mussten sich alle heimkehrenden Kriegsgefangene und zurückgekehrten Soldaten laut der amerikanischen Militärregierung registrieren lassen. So kamen diejenigen, die auf Grund ihrer politischen Vergangenheit nicht wieder in ihrem Beruf arbeiten durften in der Landwirtschaft unter.

Lebensmittelkarten durften ab dem 23. Juli 1945 nur noch an arbeitsfähige männliche Personen, welche eine Bescheinigung ihres Arbeitgebers vorlegen konnten, ausgegeben werden. Personen die erst aus der Gefangenschaft entlassen worden waren, hatten eine 14-tägige Frist, nach der sie eine Arbeit aufzunehmen hatten. Persönliche Arbeitsverpflichtungen bei bestimmten Bauern waren aufgrund der Förderung der Gemeinschaftshilfe untersagt.

Auch Jungendliche unter 14 Jahren waren verpflichtet sich nützlich zu machen, z.B. bei der Suche nach denen im Mai 1945 entdeckten Kartoffelkäfern, welche die Ernten bedrohten. So wurde im Amtsblatt vom 25. Mai 1945 mitgeteilt, dass alle männlichen und weiblichen Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren am Mittwoch den 30. Mai 1945 um 14.00 Uhr zum Kartoffelkäfersuchdienst anzutreten haben. Aber auch Holz sammeln gehörte zu den Aufgaben der Kinder. Den Eltern, die ihre Kinder davon abhielten etwas für das Gemeinwohl zu tun, wurden die Lebensmittelkarten einbehalten

Es war nur logisch, dass die Stadtbevölkerung jedes freie Eck ihres Gartens nutzten, um Gemüse selbst ernten zu können. Mit ebenso viel Sorgfalt wie sie dieses hegten und pflegten bewachten sie ihre Schätze. Nachdem die Ausgangszeiten verlängert wurden, fuhren viele aufs Land, um sich mit Heu und Gras für Hühner und Hasen zu versorgen und sich Eier und Mehl zu erbetteln. Diese „Landgänge“ hatten zu Folge, dass die Milchablieferungen um 50 Prozent zurückgingen. Dies hatte einen drastischen Maßnahmenkatalog zu Folge der von der amerikanischen Militärregierung unterstützt wurde.

Schwarzmarkt

Aufgrund der schlechten Versorgungslage entstand rund um Backnang, so wie in ganz Deutschland schnell ein Schwarzmarkt. Dieser war zwar von der amerikanischen Militärregierung strengstens untersagt, konnte jedoch nie ganz unterbunden werden. Es gab weder Kleider noch Medikamente und das Geld hatte keinen Wert mehr. Dies führte zu einer tiefgehenden Demoralisierung. Warum arbeiten gehen, wenn der Tausch einer Packung Zigaretten so viel Lebensmittel einbrachte wie der Wochenlohn eines Zugschaffners?

Transport

Neben dem Arbeitskräftemangel, erschwerte auch das vorhandene Transportproblem die Aufräumungs-, Ausbesserungs- und Wideraufbauarbeiten. So mussten alle im Kreis verfügbaren Transportmittel nach Kriegsende umgehend beim Bürgermeister zur Anzeige gebracht werden, damit man über ihren Einsatz verfügen konnte.

Wer mit einem Fahrzeug eine öffentliche Straße benutzen wollte, musste neben einer Anmeldebescheinigung auch eine Zulassung durch das Militär besitzen. Die von der Militärregierung vorgeschriebenen Fahrtenbücher sollten den überhand nehmenden missbräuchlichen Einsatz vorbeugen (ausgenommen landwirtschaftliche Fahrzeuge), der anhand der angespannten Treibstofflage nicht geduldet werden konnte. Selbst für die Ernte im Sommer 1945 war nicht genügend Treibstoff zu Verfügung.

Es fehlte auch an Reifen, Batterien und Ersatzteilen vor allem für Lastwagen, die aufgrund des eingestellten Eisenbahnverkehrs die einzigen größeren Transportmittel waren. Kraftfahrer waren dazu verpflichtet ihre Fahrzeuge voll auszulasten und Personen die mitgenommen werden wollten mitzunehmen. Wurden nicht voll ausgelastete Lastwagen von der Polizei gemeldet, konnten diese im Wiederholungsfall stillgelegt werden.

Wohnungsmarkt

Der Wohnungsmarkt war durch schon die Einquartierung der Amerikaner beeinträchtig, und wurde später durch die allmähliche Rückkehr weniger evakuierter Flüchtlinge, sowie durch den Zuzug von Heimatvertrieben zusätzlich strapaziert. Da Backnang vom Krieg kaum zerstört wurde, nah an Stuttgart lag und die Ernährungssituation einigermaßen befriedigende war, wurde die Stadt zu einem Magnet für heimatlose Neuzugänge.

Bis September 1945 nahm die Bevölkerung in Backnang um 12 Prozent zu. Für die insgesamt 3.784 Familien standen ca. 2.900 Wohnungen mit 8.100 Räumen zu Verfügung. Es fehlten insgesamt 35 Ein-, 40 bis 50 Zwei-, 20 Drei-, 40 Vier – und 5 Fünfzimmerwohnungen.

Mit Einschränkungen des Wohnraums für aktive NSDAP-Mitglieder, einer mit allen Mitteln geförderten Wiederinstandsetzung beschädigter Gebäude (von welchen die meisten, durch Selbstzerstörung beschädigt worden waren) und der Errichtung von Baracken und Flüchtlingslagern, versuchte man das Wohnungsproblem so gering wie möglich zu halten.

Währungsreform von 1948

Ereignisse unmittelbar vor der Währungsreform

Die Situation der gesamten Bevölkerung in der Bizone hatte sich zum Jahreswechsel 1947/48 dramatisch verschärft. Das allmähliche Aufbrauchen privater Bestände sowie der Flüchtlingsstrom aus dem Osten hatten dazu geführt, dass Angebot und Nachfrage in extremem Missverhältnis zueinander standen. Der Schwarzhandel dominierte, die Lebensmittelversorgung verschlechterte sich.

Mit seiner berühmt gewordenen „Hühnerfutterrede“ konkretisierte Johannes Semle, Ludwig Erhards Vorgänger als Direktor des Wirtschaftsrates, die Kritik der vieler Deutscher an der alliierten Wirtschaftspolitik:

„Was hat man für uns getan? Man hat uns Mais geschickt und Hühnerfutter, und wir zahlen es teuer. Bezahlen es in Dollar aus deutscher Arbeit und deutschen Exporten. Und sollen uns noch dafür bedanken. Es wird Zeit, dass deutsche Politiker darauf verzichten, sich für diese Ernährungszuschüsse zu bedanken.“1

Zum einen waren die Deutschen über die vermeintlich schlechte Qualität der amerikanischen Lebensmittellieferungen verbittert, zum anderen glaubten sie, dass der allmählich wieder erstarkten deutschen Außenhandel von den Alliierten zum Schaden Deutschlands abgewickelt wurde. Es wurde unterstellt, dass deutsche Produkte mit Absicht vom Welthandel ferngehalten würden, um vor allem der bedrängten britischen Wirtschaft Vorteile zu verschaffen. Auch die Deckung der Besatzungskosten aus der laufenden Industrieproduktion wurde abgelehnt.

Die Rede Semlers verursachte einen Eklat und führte zu dessen Entlassung durch die Militärgouverneure der Bizone, Clay und Robertson. Jedoch konnte die Entlassung Semlers Großdemonstrationen nicht verhindern, welche sich vor allem gegen die unzureichenden Lebensmittellieferungen richteten. Diese Kundgebungen, sowie ein vom Wirtschaftsrat verabschiedetes Gesetz zur Erfassung und Verteilung von Lebensmittelbeständen - gedacht als Geste des guten Willens gegenüber den westlichen Besatzungsmächten - veranlassten die US-Behörden, die Lebensmittelversorgung umzuorganisieren. Die Rationen wurden erhöht und bereits im Frühjahr 1948 konnte von einer Wende zum Besseren gesprochen werden.

In diesen Zeitraum fallen die Abschlussberatungen der Alliierten über die Ingangsetzung des Europäischen Wiederaufbauprogramms. Eine Beteiligung Deutschlands konnte nach Ansicht des US-Außenministers George Marshall nur unter der Voraussetzung einer Normalisierung der deutschen Wirtschaftsverhältnisse erfolgen. Vor allem eine Beseitigung des Geldüberhangs war nötig, d. h. eine Reform der Währung war nun unabdingbar geworden. Hinzu kam, dass den Westalliierten längst klar geworden war, worauf die wirtschaftspolitische Planung der Sowjets in ihrer Zone abzielte. So entschlossen sie sich zu „ihrer“ Währungsreform.

Erstmals im April 1948 wurde der Wirtschaftsrat mit der bevorstehenden Währungsreform konfrontiert. Man stellte die deutsche Seite vor vollendete Tatsachen, Einflussmöglichkeiten waren kaum vorhanden. Dieses, nach dem Tagungsort Rothwesten als Konklave von Rothwesten in die Geschichte eingegangene Ereignis, wurde unter strikter Geheimhaltung vollzogen. Trotzdem gelangten Gerüchte an die deutsche Öffentlichkeit.

In Erwartung der kommenden Reform war der Handel bestrebt, Lagerbestände zu bewahren und die verzweifelten Bemühungen weiter Teile der Bevölkerung, Sachwerte für Reichsmark zu erwerben, stießen ins Leere. In den Monaten Mai und Juni drohte schließlich die Verbitterung der besitzlosen Verbraucher zu eskalieren und Unruhen waren in der Bizone nicht mehr auszuschließen.

Obwohl alle Welt von der Währungsreform sprach, wurde das Unternehmen in aller Heimlichkeit vorbereitet. Das neue Geld, die Deutsche Mark (D-Mark oder DM), wurde in den USA gedruckt und traf unter militärischer Bewachung in Kisten mit der rätselhaften Inschrift „Bird Dog“ in Deutschland ein.

Durchführung der Währungsreform

Am 18. Juni 1948 verkündete ein Sprecher der Militärregierung, als Vertreter der verantwortlichen Alliierten, das Gesetz zur Währungsreform über den Rundfunk. Das Gesetz enthielt folgende Punkte:

  • Die Reichsmark wird ungültig; die neue Währung ist die D-Mark (nur in der westlichen Besatzungszone).
  • Jeder Bewohner einer westlich besetzten Zone kann 60 Reichsmark (RM) im Verhältnis 1:1 in DM umtauschen; davon sollen 40 DM schon am Sonntag den 20. Juni, weiter 20 DM vier Wochen später ausbezahlt werden.
  • Schuldenzahlungen sollen eine Woche ruhen (Moratorium).
  • Alle Altgeldbestände und Guthaben sind innerhalb einer Woche abzuliefern und zum Umtausch anzumelden.

Die deutsche Bevölkerung erfuhr erst nach Ablauf dieser Frist, was mit den abgelieferten Reichsmark-Beträgen geschehen sollte:

  • Das Umtauschverhältnis war 1 D-Mark für 10 Reichsmark. Unmittelbar verfügt werden konnte aber nur über die Hälfte der neuen DM-Guthaben. Die andere Hälfte wurde zunächst auf Festkonten eingefroren. Am 4. Oktober wurde dann ein Fünftel dieses Festgeldes freigegeben, ein weiteres Zehntel konnte in mittel- und langfristigen Wertpapieren angelegt werden, der Rest (immerhin 70 Prozent) wurde gestrichen.
  • Guthaben über 5.000 RM mussten vor der Umstellung vom Finanzamt überprüft werden.
  • Schulden waren nur zu einem Zehntel ihres RM-Betrages in DM zurückzuzahlen.
  • Regelmäßige Zahlungen wie Löhne, Gehälter, Pensionen, Renten und Mieten wurden im Verhältnis 1:1 umgewertet.

Folgen der Währungsreform

Die Währungsreform ging eindeutig zu Lasten der Sparer, deren Konten für je 100 RM auf 6,50 DM zusammengestrichen wurden. Ältere Sparer hatten somit nach 1923 zum zweiten Mal ihre Rücklagen verloren. Sachwert- oder Aktienbesitzer hingegen waren, insbesondere wenn sie auch noch Schulden hatten, die großen Gewinner.

Bei aller Ungerechtigkeit der Währungsreform aber herrschte weitgehend Einigkeit, dass ein drastischer Währungsschnitt zwingend notwendig gewesen sei, um die Beseitigung des riesigen Geldüberhangs aus der Kriegsfinanzierung und die Rückkehr zu einem funktionierenden Zahlungsmittel sicherzustellen. Außerdem wusste nun jeder, was er von seinem zunächst recht kargen Lohn kaufen konnte.

Groß war die Hoffnung auf eine Ankurbelung der Industrieproduktion und der Investitionsbereitschaft, insbesondere vor dem Hintergrund der gleichzeitig beschlossenen Steuererleichterungen und des raschen Übergangs zur Marktwirtschaft. Ludwig Erhard brachte die Zuversicht auf den Punkt:

„Ich bleibe dabei, und die Entwicklung wird mir recht geben, dass, wenn jetzt das Pendel der Preise unter dem einseitigen Druck kostenerhöhender Faktoren und unter dem psychologischen Druck dieses Kopfgeldrausches die Grenzen des Zulässigen und Moralischen allenthalben überschritten hat, doch bald die Phase eintreten wird, in der über den Wettbewerb die Preise wieder auf das richtige Maß zurückgeführt werden, und zwar auf das Maß, das ein optimales Verhältnis zwischen Löhnen und Preisen, zwischen Nominaleinkommen und Preisniveau sicherstellt.“2

Am Montag nach der Währungsreform waren die Geschäfte und Märkte mit Waren, die in Erwartung des „Tages X“ gehortet worden waren, gefüllt. Die Schilderung Karl Heinz Willenborgs, dass „viele Konsumenten bei dem Erlebnis, mit dem neuen Geld wirklich etwas kaufen zu können, in Rauschzustände verfielen“, klingt jedoch etwas übertrieben, denn schließlich standen nur 40 Mark zur Verfügung. Tatsache aber ist, dass der Geldumlauf eine hohe Geschwindigkeit erreichte.

Am Tag nach der Währungsreform wandte sich Ludwig Erhard in einer Rundfunkrede an die deutsche Bevölkerung, in der er an die Vernunft appellierte und seiner Hoffnung auf Preissenkungen erneut Ausdruck verlieh. „Es müsste“, so Erhard, „geradezu als ein Wunder bezeichnet werden, wenn die Preise diesem Druck nach unten nicht nachgeben sollten.“ Dieses Wunder ließ zunächst auf sich warten. Drastische Preissteigerungen brachten vor allem sozial schwache Familien in erhebliche Bedrängnis.

Das neue Geld büßte in fünf Monaten (Juni bis Dezember 1948) ein Sechstel seines Wertes ein. Die Lebenshaltungskosten stiegen um 17 Prozent. Auch stellte sich schnell heraus, dass Lebensmittel und andere wichtige Güter wie Schuhe und Textilien weiter Mangelware blieben und bewirtschaftet werden mussten.

Eine weitere Entwicklung, die die Euphorie der Politiker über die Währungsreform relativierte, war die steigende Arbeitslosigkeit. Von Juni 1948, als 424.000 Menschen arbeitslos gemeldet waren, bis Januar 1949 stieg die Zahl auf 937.000. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass eine große Zahl der neuen Erwerbslosen ehemalige Schwarzhändler waren, denen durch die Währungsreform ihre „Geschäftsgrundlagen“ entzogen worden waren. Der Zustrom der Flüchtlinge aus der SBZ tat ein übriges, die Zahl der Arbeitslosen zu erhöhen.

Fußnoten
  1. Pünder, Tilmann. Das bizonale Interregnum. Waiblingen, 1966, S. 152.
  2. Zit. nach Vogelsang, Thilo. Das geteilte Deutschland. München, 1983, S. 175.

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